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Schnitzelbeat Vol. 2
TRACKLIST
Raw Teenage Beat And Garage Rock Anthems from Austria
1964–1970
Produced by Trash Rock Archives. Compiled by Al Bird Sputnik. Remastering by Matthias Kastner. Artwork by Bernhard Fuchs.
16 Song-LP out on Digatone // 20-Song-CD out on Konkord.
LINER NOTES
Das erste Österreich-Gastspiel der Rolling Stones fand unter enormen Polizeiaufgebot am 17. September 1965 in der Wiener Stadthalle statt. Zusätzlich begleitet wurde das Spektakel von einer gehässigen Pressekampagne, die das Konzert bereits im Vorfeld als unmusikalische Lärmorgie verteufelte und seine jungen Besucher als verwahrloste, intellektuell minderbemittelte Strolche portraitierte. In der weitläufigen Wahrnehmung stand die Jugendbewegung Beat noch synonym für politische Subversion und gesellschaftliche Nonkonformität und löste in den Köpfen der Erwachsenengeneration ähnliche Horror-Phantasien aus, wie sie etwa zehn Jahre zuvor schon der Rock-N-Roll evoziert hatte. „Für die Leute war das damals ein Schock“, vergegenwärtigt sich Walla Mauritz, Leadsänger der Wiener Psychedelic Rock-Formation Novak’s Kapelle in einem Gespräch mit den Trash Rock Archives. „Das waren Spießrutenläufe durch die Gesellschaft. Alles, was längere Haare über die Ohren hatte, galt entweder schon als Avantgarde… Oder schlimmer: Wenn du in Wien in die Straßenbahn eingestiegen bist, hat man sich gleich nach dir umgedreht und vom ‚Vergasen‘ gesprochen.“
Allen Ressentiments zum Trotz, nahm das Beat-Movement allmählich auch in Österreich Gestalt an. Spätestens seit dem Stones-Auftritt galt es als erwiesen, dass hier eigentlich ein ganz gutes Geschäft zu machen war und sich die jungen Leute ohnehin zu benehmen wussten. Einige weitere wesentliche Vorreiter und Mitbegründer des Genres waren in den kommenden Jahren in der Bundeshauptstadt zu Gast: The Kinks (1966), The Beach Boys (1966), The Troggs (1966), Manfred Mann (1968), The Jimi Hendrix Experience (1969) und ein zweites Mal The Rolling Stones (1967). Gleichzeitig formierten auch österreichische Teenager flächendeckend eigene Beat-Combos und lernten über Nacht die nötigen Akkorde, um testosterongeladene Coverversionen von „Satisfaction“, „You really got me“ oder „Wild thing“ vor einer Meute Gleichaltriger zum Besten zu geben. Möglichst nah am Original zu sein, galt Tanzbands jener Tage (noch) als unumstößliches Qualitätsmerkmal, im Sinne von „Das sind die Yardbirds von Leonding“ oder „Kennst du schon die steirischen Herman’s Hermits?“ oder gar „Hallo, wir sind die „Vienna Beatles“ (siehe „Schnitzelbeat Volume 1“).
Die größten Mängel des heimischen Marktes, also die fehlende Vernetzung von Teenagern untereinander, unzureichende Infrastruktur oder die Absenz notwendiger Kommunikationskanäle, ließen sich Ende der 1960er Jahre mit einigen wichtigen Initiativen allmählich bewältigen: Im Oktober 1967 ging das Jugendradio Ö3 erstmals auf Sendung und regte eine alternative Auseinandersetzung mit heimischer Popmusik an. Im Dezember 1968 nahm das (mittlerweile in Vergessenheit geratene) „österreichische Bravo“, ein Beat-Fanzine mit dem Namen MP seinen Betrieb auf. Zudem setzte ein unvermuteter Boom von regionalen und überregionalen Amateurband-Wettbewerben ein, der ab 1966/67 eine deutliche Spur durchs ganze Land zog: Abgehalten in Wirtshäusern, Parteilokalen oder Pfarrheimen und gesponsert von lokalen Bierbrauereien oder Tageszeitungen, trugen die Veranstaltungen festliche Namen wie „Musik der Kontraste“, „Weinland-Grand-Prix“, „Pop im Rampenlicht“ oder „Pop-Pokal“. Die große Summe teilnehmender Bands gab den Organisatoren jedenfalls recht. In der subjektiven Wahrnehmung etlicher Zeitzeugen, wie auch damaliger Pressestimmen, verfügte plötzlich jeder Gemeindebau und jeder Schulhof über eine eigene Beat-Formation. Die publizistische Öffentlichkeit, der dieser Trend freilich suspekt anmuten musste, setzte die Betonung gerne auf den Amateurstatus und die mangelnde Professionalität der Musiker, wie auch auf die Kurzlebigkeit der jeweiligen Projekte: „Die meisten der etwa 1800 österreichischen Amateurbands, die sich einen kometenhaften Aufstieg ersehnen, wechseln ihre Spieler ständig. Private Meinungsverschiedenheiten sind meist der Grund dafür oder musikalische Missverständnisse.“ (Jugend Voran, 1966).
Erfreulicherweise lässt sich die Annahme laufend widerlegen, es gäbe angesichts der überwältigenden Vielzahl vergessener (und mangelhaft dokumentierter) Amateur-Combos keine repräsentativen Tonträger-Erzeugnisse des österreichischen Beatband-Movements. Bei etlichen lokalen Bandwettbewerben erwartete die Erstplatzierten etwa ein Plattenvertrag bei einem kleinen regionalen Label. In anderen dokumentierten Fällen ergriffen die jungen Musiker auch selbst die Initiative, kratzten ihr Erspartes zusammen und fuhren über die Landesgrenzen in die Schweiz oder nach Deutschland, wo die Kommunikation mit Studios und Presswerken weniger schwerfällig war als in Österreich. Manch junge Formation hatte hingegen auch gewaltiges Glück und rutschte – zur richtigen Zeit am richtigen Ort – tatsächlich in den Roster eines Major-Labels und schaffte auf diesem Weg den Sprung ins Fernsehen oder Radio, ja sogar ins deutsche Bravo.
Die hier ausgewählten Songs wurden in den jeweiligen Fan- und Freundeskreisen seinerzeit zweifelsfrei rauf- und runtergespielt, blieben in einem größeren, populären Diskurs allerdings stets unsichtbar. Einige wegweisende Veröffentlichungen, wie etwa die Singles der Slaves, Boys, Gamblers oder Desperateserschienen in kleinen Stückzahlen (auf obskuren ausländischen Labels) und waren ohnehin nicht um hymnische Rezensionen im österreichischen Feuilleton bemüht.
Der Wiener Kulturinitiative Trash Rock Archives ist es in langen Jahren der Recherche und Erfassung relevanter Tonträger-Materialien gelungen, einen nahezu vollständigen Bestand österreichischer Musikproduktion aus dem fraglichen Zeitraum zu sichern. Dies ist die erste Zusammenstellung ihrer Art. Wir waren daher bemüht, einem interessierten Publikum einen differenzierten Einblick in die Geschichte der Teenager-Tanzbands und der ersten Hochphase österreichischer Beatmusik zu verschaffen. Wir wünschen viel Vergnügen mit Schnitzelbeat Volume Two — You Are The Only One (Raw Teenage Beat And Garage Rock Anthems From Austria 1964–1970).