Releases

Schnitzelbeat Vol. 1

TRACKLIST

Die fol­gen­den Links füh­ren zur Archiv-Ver­si­on der Web­site.
Schnit­zel­beat Vol. 1
I LOVE YOU BABY!
Twis­ted Rock-N-Roll, Exo­ti­ca & Pro­to-Beat Unknowns From Aus­tria
1957–1965 / 1966

Pro­du­ced by Trash Rock Archi­ves. Com­pi­led by Al Bird Sput­nik. Remas­te­ring by Mat­thi­as Kast­ner. Art­work by Bern­hard Fuchs.

16 Song-LP out on Diga­to­ne // 20-Song-CD out on Kon­kord.

LINER NOTES

Elvis Pres­ley gab nie ein Kon­zert in Öster­reich und das ist scha­de. Dafür war Bill Haley hier. Sein ers­tes Wien-Kon­zert fand am 22. Okto­ber 1958 statt und wie sich Zeit­zeu­gen erin­nern, war sei­ne Show erwar­tungs­ge­mäß über­zeu­gend. Den­noch ver­lief die gan­ze Sache – anders als in ande­ren Metro­po­len der Welt – rela­tiv harm­los: Kei­ne Jugend-Unru­hen auf den Stra­ßen der Stadt, kei­ne bren­nen­den Autos, noch nicht ein­mal zer­schmet­ter­te Sitz­plät­ze im Wie­ner Kon­zert­haus waren zu bekla­gen. Dabei hät­te eine sicht­ba­re Initi­al­zün­dung halb­star­ker Teen­ager-Sub­kul­tur der klei­nen Kul­tur­na­ti­on Öster­reich in ihrer lang wäh­ren­den Iden­ti­täts­su­che wohl gut getan und sämt­li­che schlep­pen­den Pop-Ent­wick­lun­gen der kom­men­den Jah­re radi­kal beflü­geln kön­nen. Doch es ist, wie es ist.

Aus der Früh­pha­se der Under­ground-Strö­mung Rock-n-Roll in Öster­reich lie­gen uns so gut wie kei­ne musi­ka­lisch rele­van­ten, für den Mas­sen­ge­brauch gefer­tig­ten Ton­trä­ger vor. Dies ist inso­fern bemer­kens­wert, als dass his­to­ri­sche Recher­chen stets die Exis­tenz von unab­hän­gi­gen, genui­nen Teen­ager-Rock-n-Roll-Sze­nen in rau­en Men­gen zu Tage beför­dern. In den Jah­ren 1957 bis 1960 wuchs in ganz Öster­reich all­mäh­lich eine ers­te Gene­ra­ti­on von Teen­ager-Ama­teur-For­ma­tio­nen her­an, die dem ame­ri­ka­ni­schen Rock-n-Roll ver­fal­len war und sich ver­ruch­te Band­na­men ver­pass­te: The ABC Rockers, The Blue Gam­blers, The Blue Jean Bop­pers, The Rock Five, The Shakers, The Sham­rocks, The Stran­gers, The Thun­der­storms, The Vien­na Ram­blers, … Band­na­men, die sich wirk­lich hören las­sen konn­ten, nur auf Ton­trä­gern hören konn­te man die­se Bands eben nicht.

Die­se jugend­li­chen Fans, die deut­sche Peter Kraus-Adap­tio­nen weit­ge­hend als Ver­höh­nung des Gen­res emp­fan­den, sogen indes mit fieb­ri­gem Eifer das Musik-Pro­gramm von Radio Luxem­burg in sich auf und inter­pre­tier­ten die gehör­ten eng­lisch­spra­chi­gen Rock-n-Roll-Titel als­bald vor einer klei­nen Meu­te Gleich­alt­ri­ger. Auf die­sem Wege ent­stan­den in ganz Öster­reich klei­ne regio­na­le Sze­nen mit wil­der Live-Beschal­lung, deren größ­tes Defi­zit aber natur­ge­mäß in feh­len­der Infra­struk­tur und der non-exis­ten­ten Ver­net­zung mit ande­ren Sze­nen lag. Kurio­se Eigen­wahr­neh­mun­gen wie etwa “außer unse­rem eige­nen Freun­des­kreis in Kot­ting­brunn hat sonst nie­mand in ganz Öster­reich schon Rock-n-Roll gehört / gespielt” sind in die­sem Zusam­men­hang kei­ne Sel­ten­heit. Bei einer der­ar­ti­gen Viel­zahl grund­le­gen­der struk­tu­rel­ler Män­gel konn­te der Rock-n-Roll als Leit­kul­tur für öster­rei­chi­sche Teen­ager frei­lich kein Land gewin­nen.

Der öster­rei­chi­sche Rock-n-Roll lie­ße sich als Gen­re der ver­ge­be­nen Chan­cen sub­su­mie­ren. Eben­so könn­te hier der Aus­gangs­punkt eines omi­nö­sen Öster­reich-Syn­droms ver­or­tet wer­den, sprich: Allen Trends der Pop­ge­schich­te stets zwei bis drei Jah­re hin­ter­her zu sein. Wich­ti­ge Ent­wick­lun­gen ori­gi­nä­rer Teen­ager-Sub­kul­tur erfuh­ren im Öster­reich der spä­ten 1950er und frü­hen 1960er Jah­re kaum media­le Auf­merk­sam­keit und wur­den nur sel­ten für wert befun­den, auf Ton­trä­gern für die Ewig­keit kon­ser­viert zu wer­den. Die Grün­de dafür sind viel­fäl­tig. Die Ver­ant­wort­li­chen der hei­mi­schen Schall­plat­ten­in­dus­trie trau­ten es öster­rei­chi­schen Recor­ding Artists noch nicht zu, nach inter­na­tio­na­lem Vor­bild wil­de und unge­stüm-rocken­de Auf­nah­men am Puls der Zeit zu machen, womög­lich noch eng­lisch­spra­chi­ge. Tat­säch­lich hat­te ein öster­rei­chi­scher Recor­ding Artist par­tout deutsch­zu sin­gen, alles ande­re wur­de im Sin­ne der Glaub­wür­dig­keit und der guten Sit­ten als unver­käuf­lich ange­se­hen. Ein wei­te­rer Grund für man­geln­de Expe­ri­men­tier­freu­dig­keit hei­mi­scher Labels war der gän­gi­gen Ein­schät­zung geschul­det, mit jun­gen Bands sei kein Pro­fit zu machen: Auf Schall­plat­ten­pro­duk­tio­nen waren folg­lich stets kom­mer­zi­el­le Tanz-Orches­ter zu hören.

Durch die Eta­blie­rung der von Ger­hard Men­dels­on gegrün­de­ten Aus­tro­phon-Stu­di­os hat­te sich der Stand­ort Wien mit der soge­nann­ten Musik­pro­duk­ti­on Süd zudem zu einer renom­mier­ten Hoch­burg deutsch­spra­chi­ger Schla­ger­pro­duk­ti­on gemau­sert und setz­te im frag­li­chen Zeit­raum auf voll pro­fi­ta­ble und radio­taug­li­che Pro­duk­tio­nen der Unter­hal­tungs­mu­sik. Jeden Tag ent­stan­den hier unter der Lei­tung erfah­re­ner Arran­geu­re und unter Mit­wir­kung von Voll­blut-Instru­men­ta­lis­ten aus dem Pool der Wie­ner Jazz-Sze­ne poten­ti­el­le Mil­lio­nen­hits für den deut­schen Markt­füh­rer Poly­dor. Wirk­lich beein­dru­ckend, aber nichts für jun­ge Rock-n-Roll-Fans!

Sei­tens der öster­rei­chi­schen Plat­ten­in­dus­trie herrsch­te aller­dings kein gene­rel­les Des­in­ter­es­se an zeit­ge­nös­si­scher Teen­ager-Pop­kul­tur, es durf­te bloß nicht zu wild, oder zuame­ri­ka­nisch klin­gen. Ein­schlä­gi­ge Ver­kaufs­zah­len gaben die­ser Stra­te­gie im Übri­gen durch­aus Recht, wie sich der Wie­ner Film-Kom­po­nist Ger­hard Heinz, ab 1958 Auf­nah­me­lei­ter der Aus­tro­phon-Stu­di­os im Gespräch mit den Trash Rock Archi­ves erin­nert: “Ein frü­her Ori­gi­nal­ti­tel von Elvis Pres­ley hat in Deutsch­land damals nur rund 10.000 Stück ver­kauft. Die Cover-Ver­si­on der­sel­ben Num­mer, die wir hier in Wien auf­ge­nom­men haben, hat sich in der Ver­si­on von Peter Kraushin­ge­gen fast eine Mil­li­on mal ver­kauft.” Beacht­lich! Die Rezep­tur Rock-n-Roll-Adap­tio­nen auf Deutsch kam auch rasch mit dem öster­rei­chi­schen Recor­ding Artist-Nach­wuchs zur Anwen­dung und die Lis­te hei­mi­scher Schlagersänger/innen, die uns auf die­sem Wege kom­mer­zi­ell ori­en­tier­te Schall­plat­ten­pro­duk­tio­nen hin­ter­las­sen haben ist über­ra­schend lang: Susi Ador­jan, Wolf Aurich, Hank Bax­ter, Robert Benett, Jörg Maria Berg, Ernie Bie­ler, Gün­ther Frank, Fer­ry Graf, Rockie Jack­son, Evi Kent, Micky Main, Fred Per­ry, Hedi Prien oder Ralf Roberts,um nur eini­ge der hörens­wer­tes­ten Inter­pre­ten zu nen­nen.

Was im gän­gi­gen Dis­kurs aller­dings all­zu oft über­se­hen wird, ist die ver­bor­ge­ne Stär­ke öster­rei­chi­scher Musik­pro­duk­ti­on in der Erzeu­gung soge­nann­ter novel­ty records, also von Schall­plat­ten, die auf absei­ti­ge, nicht mas­sen­taug­li­che Super­la­ti­ve der Explo­ita­ti­on-Kul­tur zur Erobe­rung eines klei­nen Publi­kums­seg­ments setz­ten. In eini­gen spek­ta­ku­lä­ren Momen­ten mani­fes­tier­ten sich in öster­rei­chi­schen Auf­nah­me­stu­di­os etwa spe­ku­la­ti­ve Sex- und Gewalt­fan­ta­sien (“Malo­ja”), Moti­ve des Kri­mi­nal- und Hor­ror­films (“Geis­ter­stun­den Cha-Cha”), Exo­ti­ka-Edel­kitsch (“Chi­ca Chi­ca Bum”) oder zeit­ge­nös­si­sche Pop-Ent­wür­fe mit loka­lem Kolo­rit (“Blue-Jean-Jack aus Meid­ling”). 

1964 schaff­te es dann erst­mals eine öster­rei­chi­sche Beat­band auf den ers­ten Platz loka­ler Hit­pa­ra­den: Der Smash-Hit „Melan­cho­lie“ der Bam­bis war zwar nur eine pick­sü­ße Italo-Schnul­ze, den­noch war es die­ser Auf­nah­me zu ver­dan­ken, dass der Strö­mung Beat und eigen­stän­dig agie­ren­den Bands im öster­rei­chi­schen Feuil­le­ton erst­mals gestei­ger­te Beach­tung geschenkt wur­de. Jedoch gin­gen mit der media­len Auf­merk­sam­keit auch rigo­ro­se Auf­la­gen hin zu Kitsch und Kom­mer­zia­li­tät für die kom­men­de Gene­ra­ti­on von Nach­wuchs-Musi­kern ein­her. Die­ses spe­zi­fisch öster­rei­chi­sche Dilem­ma ist der eigent­li­che Ursprung des Schnit­zel­beat, einem typisch öster­rei­chi­schen Gen­re. 

Der Wie­ner Kul­tur­in­itia­ti­ve Trash Rock Archi­ves ist es in lan­gen Jah­ren der Recher­che und Erfas­sung rele­van­ter Ton­trä­ger-Mate­ria­li­en gelun­gen, einen nahe­zu voll­stän­di­gen Bestand öster­rei­chi­scher Musik­pro­duk­ti­on aus dem frag­li­chen Zeit­raum zu sichern. Dies ist die ers­te Zusam­men­stel­lung ihrer Art. Wir waren daher bemüht, einem inter­es­sier­ten Publi­kum einen dif­fe­ren­zier­ten Ein­blick in die Geschich­te des Rock-n-Roll, der Exo­ti­ka und der Früh­pha­se öster­rei­chi­scher Beat­mu­sik zu ver­schaf­fen und in die­sem Sin­ne nur das Bes­te aus allen Wel­ten her­aus­zu­he­ben: Visio­nä­re Licht­bli­cke ech­ter Halb­star­ken-Sub­kul­tur als Vor­bo­ten des hei­mi­schen Beat- und Gara­ge-Rock, die schil­lernds­ten Auf­nah­men des Teen­ager-Radio­pop eines ver­lo­ren gegan­ge­nen Gol­de­nen Zeit­al­ters sowie die ver­ruch­tes­ten Incre­di­bly Strange Music-Momen­te einer kom­mer­zi­ell ori­en­tier­ten Schall­plat­ten­in­dus­trie in ihren dif­fu­ses­ten Momen­ten der Auf­bruch­stim­mung.